Amiga Patent Story
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III. Software

1. Intuition Teil 2

 

Die kommerzielle Verwertung dieser bahnbrechenden Entwicklungen erfolgt erst 1981 mit dem XEROX "8010" Star Information System, das für einen Preis von 16.000 Dollar auf den Markt gebracht wird. Die Star ist der erste kommerziell hergestellte Personalcomputer, entwickelt für Büroanwendungen. Gebaut wird die Star bei Xerox´s System Development Division.

photo of the star

 

Sie enthält alle wesentliche Merkmale, die heute einen Personalcomputer auszeichnen: Bitmap- Grafik, 2-Tasten-Maus, Fenstertechnik, lokale Festplatte, Netzwerkanbindung und Laserdrucker. Die 2-Tasten-Maus wird verwendet, weil Untersuchungen ergeben haben, dass es schwierig ist, Text mit nur einer Taste auszuwählen. Ihre Benutzung erfolgt so, dass mit dem Klicken der linken Maustaste der Beginn einer Auswahl markiert wird, dann der Mauszeiger zum Ende der Auswahl geführt wird und dieses Ende mit einem Klick auf die rechte Maustaste bestätigt wird. Die Star besitzt die erste grafische Benutzerschnittstelle, Dialogboxen, eine universelle Kommandosprache, ein "point and click" Design zur Interaktion. Dies ist die erste kommerziell verwertete objektorientierte Benutzerschnittstelle. Um eine ausreichende Geschwindigkeit für die grafische Oberfläche bei geringen Kosten zu erreichen, verwendet Xerox für die Star vier 2901 bit-sliced Prozessoren. Heute lässt sich sagen, dass die Star einen gewaltigen Einfluss auf die gesamte Computerindustrie ausgeübt hat. [6]

 

 

Am 1.April 1976 gründen die Freunde Steve Wozniak und Steven Jobs die Firma Apple. Beide sind Mitglieder im Homebrew- Computerclub, wenige Fussminuten von 3333 Coyote Hill Road, dem Firmensitz des Palo Alto Research Center entfernt. Dort kommt es zu ersten Kontakten zwischen ihnen und den dort verkehrenden Ingenieuren des PARC. Nachdem XEROX Apple- Aktien im Wert von einer Million Dollar erworben hat, wird Jobs zu einer Vorführung der ALTO eingeladen. Dieses Gerät lässt ihn nicht mehr los: Er will einen Computer wie die ALTO bauen, aber für jedermann bezahlbar. Seine Vision ist, dass der Mensch nicht die Bedienung eines Computers erlernen muss, sondern dass man ihn einfach bedienen und ohne Handbuch benutzen kann.

 

LISA Desktop

Screenshot des LISA Desktop

 

Seine Vision wird Wirklichkeit: im Januar 1983, zehn Jahre nach der Vorstellung der XEROX ALTO, erscheint die LISA (Large Integrated System Architecture) für 9998 Dollar. Die LISA unterstützt 2 Farben bei einer Auflösung bis zu 720x360 Pixel. Als Prozessor kommt die Motorola 68000 CPU mit einer Taktfrequenz von anfänglich 4 MHz zum Einsatz.

 

Die LISA weist Features auf, die über die der ALTO hinausgehen: Dragging, Doppelklick auf Ikons, Pull- Down- Menüs, Menübar und den Papierkorb. Leider ist sie ihrer Zeit voraus, zu teuer und zu langsam, so dass ihr kein Markterfolg beschieden wird. Trotzdem ist die LISA ein Meilenstein in der Geschichte der Personalcomputer. Im Gegensatz zu XEROX lässt sich Apple seine Entwicklung jedoch patentieren, was Ende der 80er Jahre zu einem heftigen Patentstreit mit Microsoft führt.

photo of the lisa

Auf den ersten Blick sieht das am 19.07.1982 von Apple Computer, Inc. angemeldete und am 07.08.1984 erteilte Patent US 4,464,652 mit der Bezeichnung "CURSOR CONTROL DEVICE FOR USE WITH DISPLAY SYSTEMS" aus, als hätte Apple die Ein-Tasten-Maus patentieren lassen.

 

Untenstehende Figur und der Patentanspruch 9 belehren jedoch über den eigentlichen Gehalt der Erfindung. Den Programmablaufplan für die nachfolgende Beschreibung zeigt die Figur 15 der Patentzeichnungen.

Patentzeichnung

Die Figur zeigt die Menübar 100, die vom Grafiksystem in Abhängigkeit vom Programm angezeigt wird. Wenn der Benutzer mit dem Mauszeiger einen speziellen Punkt im Hauptmenü T1, T2, T3 ...Tn ausgewählt und angeklickt hat, öffnet sich das zugehörige 104 Untermenü durch Herunterklappen. Der Benutzer kann dann aus diesem Untermenü mit dem Mauszeiger einen Punkt durch Hinüberfahren und anklicken auswählen, der vom Programm ausgeführt werden soll. Dabei kann nur ein Untermenü gleichzeitig heruntergelassen und angezeigt werden. Wenn der ausgewählte Befehl keinen Parameter benötigt, wird er sofort ausgeführt; andernfalls öffnet sich eine Dialogbox zur Eingabe des benötigten Parameters. Vor Ausführung des Befehls wird das Untermenü vom Programm geschlossen.

 

 

 

Wir wissen also jetzt, wovon Carl Sassenrath gesprochen hat, als er sagte, dass sie bei AMIGA die LISA von Apple und das STAR- Interface von XEROX studiert hätten.

Robert J. Mical kritisiert in der Beschreibung seiner am 18.07.1986 angemeldeten und am 20.09.1988 patentierten Erfindung US 4,772,882 mit dem Titel "CURSOR CONTROLLED USER INTERFACE SYSTEM" diesen vorbekannten Stand der Technik: Die ständig am oberen Bildschirmrand vorhandene Menüleiste beschränke die sichtbare Bidschirmfläche und nur eine Maustaste gestatte nur eine begrenzte Auswahl und Steuerung. Aufgabe seiner Erfindung soll es daher sein, ein verbessertes Verfahren zum Anzeigen und Auswählen von durch den Benutzer auswählbaren Menüpunkten zu schaffen.

Patentzeichnung

Die obenstehende Figur zeigt einen Überblick über das System. Besonderes Augenmerk verdient die Maus 10 mit dem Ball 30 und einem Paar von Steuertasten 26 und 28. Die Tasten 26 wird als Menütaste und die Taste 28 als Auswahltaste bezeichnet.

 

Wenn der Benutzer die Menütaste 26 drückt, wird die Menüleiste 40, die vorher abwesend war, auf dem Bildschirm zur Anzeige gebracht. Durch Bewegen der Maus bringt der Benutzer den Mauszeiger in die Menüleiste 40, und sobald der Mauszeiger in diese eintritt, wird ein Menü 42 angezeigt, abhängig davon, welcher der Abschnitte A bis D den Eintrittspunkt des Mauszeigers repräsentiert. Der Benutzer kann den Mauszeiger horizontal innerhalb der Menüleiste bewegen und sobald der Mauszeiger in einen neuen Abschnitt der Menüleiste eintritt, wird ein neues Menü angezeigt und das vorherige gelöscht.

Patentzeichnung

 

Wenn der Mauszeiger in ein Menü eintritt, wird der Menüpunkt, in dem sich der Mauszeiger befindet, unterlegt. Wenn ein Untermenü mit dem Menüpunkt assoziiert ist, wird es automatisch neben dem Menüpunkt als Untermenü 44 angezeigt. Der Benutzer fährt fort, den Mauszeiger durch das Menü zu bewegen, wobei die Unterlegung der Menüpunkte der Bewegung des Mauszeigers folgt. Wenn der Mauszeiger aus einem Menüpunkt, der mit einem Untermenü assoziiert ist austritt, wird das Untermenü gelöscht. Wenn der Mauszeiger im Untermenü bewegt wird, wird der entsprechende Untermenüpunkt unterlegt, wie dies auch bei einem Menüpunkt der Fall ist.

Jedesmal, wenn der Benutzer die Auswahltaste 28 drückt, wenn der Mauszeiger sich in einem aktiven Menü- oder Untermenüpunkt befindet, wird ein Option- List- Wort erzeugt, und zur Sammlung der Option- List- Variablen hinzugefügt, sofern der ausgewählte Menü- oder Untermenüpunkt nicht bereits in der Auswahlliste vorhanden ist. Ausnahme: ein mit einem Untermenü assoziierter unterlegter Menüpunkt. Den Programmablauf zur Erzeugung der Auswahlliste zeigt Figur 5b der Patentzeichnungen.

Der Benutzer kann somit beliebige Punkte des Menüs oder Untermenüs durch Drücken der Auswahltaste 28 auswählen, solange die Menütaste 26 gedrückt gehalten wird. Dabei wird die Auswahlliste entsprechend der angewählten Positionen erweitert. Nach Abschluss der Auswahl wird die Menütaste losgelassen, worauf alle ausgewählten Menü- oder Untermenüpunkte an das Anwenderprogramm übergeben werden. Soweit zum Inhalt der Patentbeschreibung.

Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein Raytracing- Bild hoher Auflösung oder eine Animation berechnen, das Ergebnis nach Abschluss der Berechnung sichern und schliesslich das Programm beenden. Sie wählen nun nach Beendigung des Editierens mit der Auswahltaste bei gedrückter Menütaste nacheinander die Menü- oder Untermenüpunkte "Berechnen", "Speichern" und "Beenden" an, geben die Menütaste frei und das Programm wird nach Abschluss der Berechnung das Ergebnis speichern, sofern bereits ein Pfad aus einer vorangegengenen Sicherung vorgegeben ist, und zur Workbench zurückkehren.

Jetzt könnte man sich natürlich fragen, warum der AMIGA, im Unterschied zur LISA - bei gleichem Prozessor und vergleichbarer Taktfrequenz - keine Geschwindigkeitsprobleme mit seiner vergleichsweise aufwendigen grafischen und farbigen Benutzeroberfläche hat: Die LISA hat keine Customchips und auch keine Coprozessoren, die die MC 68000 CPU entlasten. Die Hardware des AMIGA hingegen ist im Hinblick auf eine hohe Grafikgeschwindigkeit entwickelt worden. Intuition wird in allen Funktionen vollständig von der Hardware des AMIGA unterstützt.

Zum Abschluss dieses Kapitels lassen Sie uns noch einen Blick auf den Screenshot eines der wohl bekanntesten AMIGA- Programme werfen: Die unten stehende Abbildung zeigt den Screen von Deluxe Paint III (Electronic Arts, 1989, Programmierer: Dan Silva) mit dem patentierten Menüsystem.

 

Screenshot DeluxePaint III

Screenshot DeluxePaint III

 

[1] Markus Bräuer: Das AMIGA Handbuch. Verlag Markt&Technik, 1986
[2] Dr. Dobb's Journal: Transcript of the Carl Sassenrath interview by TechNetCast 1998-11-20
[3] Andy F. Mesa: A History of the GUI
[4] Andrew Maisel: Doug Engelbart- Father of the Mouse
[5] Bruce Damer: Personal History of the Desktop User Interface
[6] Dave Curbow: Xerox Star. Historical Documents
[7] Peter Kittel: Übersetzungsrichtlinien ..., Version 9, 01.10.1992, Commodore Frankfurt, Germany
[8] Vannevar Bush: As We May Think. The Atlantic Monthly; July, 1945; Volume 176, No. 1; pages 101-108.

 

(Thomas Unger)

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Copyright © Thomas Unger 2000-2002. Alle Rechte vorbehalten. Hinweise an: kickstart@arcor.de

Letzte Veränderung: 06. Februar 2002